Seit Mitte März hat die Corona-Pandemie das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in den meisten Ländern fest im Griff. Die Situation ist mit kaum einer vergangenen Krise vergleichbar: Der direkte Autohandel im Schauraum war per Verordnung zum Erliegen gekommen und konnte nur auf den Online-Kanal ausweichen. Nun hat der Handel zwar wieder geöffnet, wie sich die Verkaufssituation und Kundenfrequenz durch „Social Distancing“ Massnahmen ändern werden, ist jedoch noch nicht absehbar.

Die Krise betrifft natürlich nicht nur die Automobilbranche – die Massnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus führen in verschiedenen Wirtschaftsbereichen bereits zu Nachfrage-Einbrüchen, allen voran im Tourismussektor. Wie nachhaltig der Nachfrage-Einbruch durch die Pandemie auf dem Automarkt sein wird, lässt sich derzeit nur erahnen. Das wird überwiegend von der Stabilität der Kaufkraft und dem Konsumentenvertrauen in den kommenden Monaten abhängen. Sollte die Arbeitslosigkeit längerfristig auf hohem Niveau bleiben und immer mehr Unternehmen in wirtschaftliche Schieflage geraten, wird bei den meisten Konsumenten und Unternehmen die Investition in ein neues Auto wohl nicht an oberster Stelle stehen.

Die bisherigen Einflüsse auf den Restwert

Obwohl der Automarkt mit Ausnahme des Online-Handels weitgehend im Lockdown war, zeigen sich bereits erste Nachfrage-bedingte Preis-Anpassungen nach unten. Im Vergleich zum Preis-Niveau von Anfang Februar hat der Preisindex um 1,3% nachgelassen, was auf die geänderte Nachfrage-Situation zurückzuführen ist.

«In den kommenden Wochen nach Öffnung des Handles ist nach unserer Einschätzung allerdings von einem stärkeren Minus auszugehen, da voraussichtlich zusätzliche Preis-Anpassungen aufgrund der zu erwartenden schwächeren Nachfrage durchgeführt werden» so Robert Madas, Valuation Insights Manager von Eurotax Schweiz. So zeigen etwa die Restwerte in Schweden, wo es keinen Lockdown gab, und in Finnland, wo die Händler in den letzten Wochen geöffnet waren, einen stärkeren Rückgang als in Märkten, die härtere Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergriffen hatten.

 

 

Auf der Angebotsseite hat sich in den vergangenen Wochen – nicht überraschend – die Anzahl der aktiven Händlerangebote deutlich erhöht. Ende April lag die Anzahl aktiver Angebote von Occasionen bis 96 Monate um 4,9% über dem Niveau von Mitte März. Die durchschnittliche Angebotsdauer von bis zu 96 Monate alten Occasionen ist im Zeitraum von 9.3. bis 28.4. von 100 auf 110 Tage gestiegen.

 

 

Solange das Angebot die Nachfrage trifft, kann der Restwert gehalten werden. In der aktuellen Situation könnten einige Händler aus Liquiditäts-Gründen allerdings gezwungen sein, ihre derzeit auf dem Platz stehenden Occasionen mit entsprechend höheren Rabatten schnell zu verkaufen. Das würde die Restwerte bereits kurzfristig in Mitleidenschaft ziehen.

Die Szenarien für den Weg aus der Krise

Um die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf die Automobilindustrie einzuschätzen, hat Eurotax fünf mögliche Szenarien zur wirtschaftlichen Erholung im Hinblick auf deren Wahrscheinlichkeit untersucht:

 

 

Die beiden Best-Case Szenarien gehen von einem nur kurzen, aber heftigen Einbruch und einer mehr oder weniger schnellen Erholung des Marktes aus – also von einem V-förmigen Verlauf der Krise. Das mittlere Szenario geht von einer langsamen Erholung auf das Vor-Krisen-Niveau aus. Die Kurve ist in diesem Fall U-förmig, wobei die Länge der Talsohle stark vom weiteren Verlauf der Infektionszahlen und damit verbundenen wirtschaftlichen Schäden abhängen wird.

Die beiden Worst-Case Szenarien gehen von einer langen Rezession aus, mit langfristigen negativen Effekten auf die allgemeine Wirtschaftslage und Nachfragesituation.

«Auf Basis der aktuellen Marktsituation ist aus unserer Sicht die Wahrscheinlichkeit für eine ‘langsame, U-förmige Erholung’, mit 50% am höchsten» so Robert Madas. «Die Gefahr einer tiefen Rezession und noch langsameren Erholung ist allerdings nicht gebannt und wird von uns mit einer Wahrscheinlichkeit von 30% beziffert».

In Bezug auf die Restwert-Entwicklung wird das Zusammenspiel von zusätzlichen Rabatten und der Nachfrage entscheidend sein. «Wir erwarten in diesem Jahr bis Dezember den deutlichsten Wertverlust in einem Ausmass von rund minus 4% gegenüber Anfang März“ so Robert Madas weiter, „mittelfristig ist dann von einer langsamen Erholung der Restwerte auszugehen.» Die folgende Grafik zeigt den erwarteten Verlauf der Restwert-Entwicklung.

 

 

Allerdings ist es zum aktuellen Zeitpunkt noch zu früh für eine abschliessende Prognose, welche mittelfristigen Auswirkungen Covid-19 auf die Wirtschaft und in weiterer Folge auf den Occasionshandel haben wird. Derzeit sind bereits erste positive Anzeichen im Hinblick auf die Portal-Aktivitäten der Händler zu verzeichnen. Allerdings sind auch die hohen wirtschaftlichen Kosten, die durch die zur Eindämmung der Pandemie notwendigen Massnahmen entstehen, deutlich zu spüren. Die kommenden Wochen werden also für die weitere Analyse der Marktsituation als auch für die Anpassung der Szenarien entscheidend sein, um die künftigen Entwicklungen auf dem Occasionsmarkt abzuschätzen.

Hinweis: Eine Einschätzung für 13 Märkte Europas findet sich im regelmässig aktualisierten internationalen Autovista Group Whitepaper