Hans-Peter Annen, Head of Valuations & Insights Schweiz bei Eurotax, analysiert die aktuellen Entwicklungen auf dem Schweizer Automarkt im vergangenen Jahr und wagt einen Ausblick für 2023.

PKW-Neuzulassungen

Das dritte krisengeprägte Autojahr 2022 ist Geschichte und zeigt, dass der PKW-Neuwagenmarkt in der Schweiz und Liechtenstein trotz positiven Entwicklungen in den vergangenen Monaten, noch weit entfernt ist von den Zulassungszahlen vor Corona. Seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 lagen die Neuzulassungen konstant deutlich unter den Werten vor Corona. Der Krieg in der Ukraine, unterbrochene Lieferketten wegen fehlenden Komponenten und vorübergehende Werksschliessungen und Lieferverzögerungen verhinderten auch im vergangenen Jahr eine deutliche Erholung trotz guter Nachfrage. Einzig die elektrifizierten und rein elektrischen Antriebe erlebten einen neuerlichen Boom und waren 2022 bereits für mehr als die Hälfte aller Neuzulassungen verantwortlich.

Im vergangenen Jahr lagen die kumulierten Neuzulassungen mit 225’934 PKW um 5.3% hinter dem schon schlechten Vorjahr zurück, und gar um satte 27.5% hinter 2019. Bereits 114’833 PKW mit einem elektrifizierten oder rein elektrischem Antrieb wurden immatrikuliert – 8.2% mehr als 2021, was einem Marktanteil von 50.8% entspricht. Vor allem rein elektrisch betriebene PKW konnten von 31’823 Zulassungen im Jahr davor auf 40’173 Zulassungen (+26.2%) und 17.8% Marktanteil zulegen. Gefolgt von den Hybridfahrzeugen (Mild-Hybrid und Vollhybrid) mit einer Zunahme von 7.8% auf 56’107 Stück und 24.8% Marktanteil. Plug-in Hybride mit Lademöglichkeit dagegen gingen zurück um 15.8% auf 18’355 Stück bzw. 8.1% Marktanteil.

Leichter Aufschwung bei den Neuzulassungen für 2023 erwartet

«2023 rechnen wir mit einer weiteren, leichten Erholung auf dem Neuwagenmarkt wie in den letzten Monaten 2022. Allerdings dürfte das Ergebnis aus heutiger Sicht immer noch klar unter den Werten vor der Corona-Krise liegen. Realistisch sind 240‘000 bis 250‘000 PKW-Neuzulassungen», so Hans-Peter Annen, Head of Valuations & Insights bei Eurotax Schweiz. «Das Ergebnis wird stark abhängig sein von der Verfügbarkeit der Komponenten und dem Verlauf des Krieges in der Ukraine, also der Frage, ob die bestellten Neuwagen auch tatsächlich produziert und geliefert werden können.»

PKW-Neuzulassungen nach Monat 2019-2022

PKW-Halterwechsel

Der Markt für PKW-Occasionen boomt seit Sommer 2020 und ist durch eine hohe Nachfrage gekennzeichnet. Diese stand lange Zeit einem sehr geringen, inzwischen aber wieder deutlich gestiegenen, Angebot gegenüber. Im Jahr 2021 lag die Zahl der PKW-Halterwechsel mit 840‘044 (+1.1%) wieder annährend auf dem Niveau von 2019. Im ersten Halbjahr 2022 dagegen lagen die Halterwechsel (nach bisheriger Zählweise – siehe Hinweis am Schluss) aber wieder 8.5% unter Vorjahr. Die Werte 2022 nach der neuen Zählweise liegen noch deutlicher unter den Vorjahreswerten, sind aber nicht direkt vergleichbar.  

Der Aufwärtstrend bei den Halterwechseln 2021 wurde 2022 gestoppt, denn auch unter Berücksichtigung der neuen ASTRA-Daten ab 2022 (siehe Hinweis am Schluss), sind die Halterwechsel seit Juli immer klar unter den Werten vor Corona zurückgeblieben. «Der Trend zu sinkenden Halterwechseln dürfte noch eine Weile anhalten, solange auch die Neuzulassungen tief bleiben. Zudem fehlen die in den Jahren 2020, 2021 und 2022 nicht verkauften Neuwagen dauerhaft auf dem Occasionsmarkt», kommentiert Hans-Peter Annen die Situation bei den Halterwechseln.

Leicht steigende Halterwechsel für 2023 erwartet

«Für 2023 rechnen wir mit leicht steigenden Halterwechselzahlen aufgrund des nach wie vor geringeren Nachschubs, vor allem an jungen Occasionen und entsprechend knappem Angebot in dieser Altersgruppe. 750‘000 bis 760‘000 PKW-Halterwechsel nach neuer ASTRA zählweise *) erscheinen realistisch», schätzt Hans-Peter Annen.

PW-Halterwechsel nach Monat 2019 – 2022

Steigende Angebotspreise und eine deutliche Verbesserung beim Occasionsangebot im 2022
Nachdem das Volumen der aktiven Angebote am Markt Ende 2021 noch um 29% tiefer lag als Anfang Februar 2020, hat sich die Situation in der zweiten Jahreshälfte 2022 deutlich verbessert. Ende 2022 lag die Zahl der aktiven Occasionsangebote nur noch rund 4% unter dem Wert vom Februar 2020. Wobei anzumerken ist, dass die Erholung des Angebotsvolumens je nach Altersgruppe sehr unterschiedlich war. So war z.B. bei den bis zu 2 Jahre alten Occasionen das Angebot immer noch 20% geringer als im Februar 2020.

Aufgrund der guten Nachfrage und des nach wie vor knappen Angebots, sind die Angebotspreise auf dem Occasionsmarkt auch 2022 weiter gestiegen. Im Vergleich zum Preis-Niveau von Anfang Februar 2020 liegt der Eurotax Angebotspreisindex Ende 2022 im Schnitt knapp 15% höher als vor Corona (siehe Grafik unten). «Eine stabile Nachfrage trifft auf ein nach wie vor knappes Angebot: Inzwischen sind vor allem junge Occasionen betroffen, also die Fahrzeuge die 2020 und 2021 nicht als Neuwagen zugelassen wurden – und solange die Neuwagenverkäufe tiefer sind als vor den Krisenjahren, wird sich das Angebotspreisniveau nur langsam nach unten bewegen», so Hans-Peter Annen.

Von dieser Angebotsverknappung seit 2020 haben die Angebotspreise aller Fahrzeuge profitiert, zunächst insbesondere Diesel und Benziner, wobei vor allem die Diesel seit Herbst 2022 wieder etwas verloren haben. Besonders schnelle Steigerungen der Restwerte konnten 2022 reine E-Fahrzeuge verzeichnen. Profitiert haben vor allem die jüngeren, aktuellen Elektro-Modelle: Unter den 12 Monate alten Autos nehmen BEVs mit einem durchschnittlichen Verkaufswert von 83,5 % sogar gemeinsam mit Hybriden den ersten Platz bei Restwert-Betrachtung ein.

Leichte Abkühlung der überhitzen Occasionspreise für 2023 erwartet

Für die künftige Entwicklung des Occasionsmarktes ist der Neuwagenmarkt und die generelle Angebotssituation, auch im Vergleich zur Konsumentenstimmung und -Nachfrage, entscheidend. Nachdem der Ukraine-Krieg zu steigender Inflation und hohen Energiekosten geführt hat und die Lieferketten sich nur zögerlich normalisieren, können sich auch die Neuwagenverkäufe nur langsam erholen. Dies wirkt sich, trotz stetiger Erholung, weiterhin auf die Angebotssituation und die Preise bei den Occasionen aus. «Der Preisanstieg bei den Occasionen scheint zwar gestoppt und tendiert inzwischen wieder leicht nach unten, die Restwerte bewegen sich aber immer noch auf hohem Niveau», so Annen.

Nur wenn sich die getrübten Konjunkturaussichten und Versorgungsängste auch tatsächlich negativ auf die Nachfrage nach Occasionen auswirken, ist 2023 mit einem verstärkten Druck auf die Restwerte zu rechnen. Andernfalls dürften sich die Restwerte nur langsam von ihrem überhitzten Niveau weg nach unten bewegen.

*) Hinweis zu den Halterwechselzahlen 2022
Seit Anfang 2022 liefert das Bundesamt für Strassen ASTRA Halterwechselzahlen. Davor, bis und mit Juni 2022, lieferte das ASTRA Rohdaten mit allen Veränderungen des CH-Fahrzeugbestands. Die Auswertung der Halterwechsel wurde durch Eurotax selbst vorgenommen, teils mit Annahmen. Die so ermittelten Zahlen waren ca. 3% höher als die Werte nach der neuen ASTRA-eigenen Auswertung ab 2022. Aus diesem Grund haben wir alle Halterwechselzahlen für 2022 basierend auf diesen ASTRA Daten ausgewiesen. Die Werte bis und mit 2021 sind nach der bisherigen Methode angegeben. Beim Vergleich der Zahlen 2022 mit den Vorjahren ist dieser Umstand unbedingt zu beachten. Vergleiche sind darum, wenn überhaupt, nur sehr bedingt möglich.

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